Zusammenfassung
Die Stadt Biel beabsichtigt, ihr Reklamereglement aus dem Jahr 2002 zu revidieren und hat eine Totalrevision bestehend aus einem Reklamereglement und einem Plakatierungsplan vorgelegt. Die öffentliche Auflage wurde vom 6. April bis 5. Mai 2021 durchgeführt. Einsprache erfolgte seitens der Plakatgesellschaft APG|SGA (als von der Stadt Biel beauftragtes Aussenwerbeunternehmen) und des Schweizer Werbe-Auftraggeberverbandes SWA. Der Gemeinderat kommuniziert in seinem Bericht vom 8. März 2023, dass bei der öffentlichen Auflage eingebrachten Punkte soweit möglich aufgenommen wurden. Das Gegenteil ist der Fall; die Einsprachen von SWA und APG|SGA bezüglich Zweisprachigkeit wurden ignoriert.
Die vorliegende Stellungnahme der Verbände vom 24. April 2023 betrifft insbesondere den Zwang zur Zweisprachigkeit für alle Reklamen in Biel. Das neue Reklamereglement erlaubt ausschliesslich parallel-übersetzte Werbung in den Amtssprachen Deutsch und Französisch. Die Verbände argumentieren nachfolgend, weshalb diese restriktive Bestimmung das Grundrecht auf Werbefreiheit und Kunstfreiheit einschränkt.
Die Stadt Biel meinte an ihrer Medienkonferenz von dieser Woche, dass es keine «Reklamepolizei» geben werde und man den Kontakt mit Unternehmen suchen will, welche das Reglement und insbesondere die Zweisprachigkeit nicht befolgen. Warum will die Stadt ein Reglement und einen strengen Artikel 5 zur zwingenden Zweisprachigkeit einführen, welches dann nicht durchgesetzt wird oder von den Behörden willkürlich behandelt wird?
Die Verbände sehen beim Zwang zur Zweisprachigkeit weitreichende und kostspielige Folgen für lokale und nationale Werbetreibende: Sie müssen standortspezifisch für die Stadt Biel separate zweisprachige Sujets transkreieren – weshalb sie künftig auf Aussenwerbung in Biel eher verzichten werden. Die Zweisprachigkeitspflicht für Deutsch und Französisch wird ein international alleinstehendes «Bieler Werbeverbot» darstellen und negative Auswirkungen haben.
Problematik
Problematisch ist der Zwang zur Zweisprachigkeit aus den folgenden fünf wesentlichen Gründen:
- Erstens weil Werbetreibende in der Stadt Biel durch die Bestimmungen grundsätzlich eingeschränkt werden und nicht zu den gleichen offenen Bedingungen werben dürfen wie in der restlichen Welt.
- Zweitens ist das Reklamereglementmit der in der Bundesverfassung garantierten Wirtschaftsfreiheit, Werbefreiheit, Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit unvereinbar und verstösst in verschiedener Hinsicht gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip. Das stellt einen Eingriff in das Grundrecht dar und ist nicht zulässig.
- Drittens ist es für die Mehrheit der Werbetreibenden nicht zielführend, einen deutsch-französischen Kampagnen-Split separat für den Standort Biel zu konzipieren.
- Viertens ist Zweisprachigkeit aus gestalterischen Gründen und mit Blick auf die werbetechnischen Anforderungen (plakative Kurzbotschaften, Bildwortspiele, Anglizismen, siehe S. 3) oft nicht sinnvoll umsetzbar.
- Fünftens werden aufgrund dieser Restriktionen weniger Kampagnen in der Stadt Biel realisiert. Die Stadt kommuniziert, das neue Reglement hätte «keine finanziellen Auswirkungen». Das sehen die Verbände anders. Es ist mit weniger Plakatierungen und damit weniger Einnahmen zu rechnen, wenn Artikel 5 wie im Reglement durchgesetzt wird.
Forderungen
- Die Verbände fordern die Stadt Biel auf, günstige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen (Art. 94 BV, 50 KV). Diese Bestimmungen sind verpflichtend in den Bundes- und Kantonsverfassungen enthalten.
- Die Verbände beantragen, den Art. 5 im Reklamereglement (RR) zur zweisprachigen Konzeption zu streichen: «Alle Reklamen müssen, gestützt auf die in der kantonalen Verfassung verankerten und in der Stadt Biel geltenden Prinzipien zur Zweisprachigkeit, in den beiden offiziellen Amtssprachen konzipiert werden.»
- Die Verbände fordern eine freiwillige Zweisprachigkeit und bestehen auf Sprach- und Kunstfreiheit beim Erlass des Reklamereglements.
- Die Verbände rufen den Bieler Stadtrat dazu auf, das Reglement wegen dem umstrittenen Artikel 5 an seiner Sitzung vom 26. April zurückzuweisen und die Bieler Bevölkerung dazu aufrufen, am 18. Juni zum, Reklamereglement in dieser Form ein NEIN in die Urne zu legen.
Rechtlicher Rahmen
Die Schweizerische Bundesverfassung garantiert die Kunstfreiheit ausdrücklich. Sie gewährleistet die Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16 BV), die Medienfreiheit (Art. 17 BV), aber auch die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV). In der Aussenwerbebranche ist die Wirtschaftsfreiheit von besonderer Bedeutung: Zusammen mit anderen Grundrechten garantiert sie die Freiheit der sozialen, politischen und kommerziellen Kommunikation. Diese Grundrechte, aber auch die weiteren wirtschaftlich relevanten Verfassungsbestimmungen (Art. 94 ff. BV), reflektieren die Entscheidung des Verfassungsgebers für eine gesellschaftlich, wirtschaftlich und technologisch offene Medien- und Kommunikationsordnung. Das neue städtische Reklamereglement ist in diesem Kontext zu hinterfragen und zu begründen.
Verweise zur Rechtsgrundlage
Art. 17 BV https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_17
Art. 27 BV https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_27
Art. 94 BV, 50 KV https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#tit_3/chap_1/sec_3
Art. 94 ff. BV https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_94
Unterscheidung individueller und institutioneller Mehrsprachigkeit
Die Schweiz zeichnet sich durch ihre Mehrsprachigkeit aus. Das Beherrschen mehrerer Sprachen ist eine zentrale Frage der Identität und oft kommunikative Notwendigkeit. Dies teilt die Schweiz mit zahlreichen anderen Gebieten in Europa und der Welt. Institutionelle Mehrsprachigkeit in der Schweiz bezieht sich hauptsächlich auf die Institutionen des Bundes sowie auf die Kantone und Verwaltungseinheiten von Freiburg, Wallis und Bern. Graubünden verfügt als einziger Kanton der Schweiz über drei Amtssprachen (Deutsch, Romanisch und Italienisch). Als individuell zweisprachige Regionen sind der freiburgische Bezirk See-Lac, die Agglomeration Freiburg-Fribourg und die bernische Region Biel-Bienne hervorzuheben. Französisch und Deutsch werden in Biel als gleichberechtigte Amtssprachen anerkannt. (Ständige und nichtständige Bevölkerung nach Amtssprache: 57% deutschsprachig und 43% französischsprachig. Quelle: Einwohnerregister Stadt Biel, 01.01.2020).
Werbung wirkt durch individuelle Ansprache und Mehrsprachigkeit. Die Verbände stellen sich auf den Standpunkt, dass Werbekampagnen häufig eine Zielgruppe spezifisch ansprechen – dabei kann es sich um ein landes- oder fremdsprachiges Publikum handeln. Werbung will Emotionen hervorrufen und das in Sekundenschnelle, manchmal richtet sie sich dabei explizit an eine Sprachgruppe (z.B. Sensibilisierung fremdsprachiger Minderheiten, kolloquiale Werbeslogans wie «Steak that» oder «Welcome back»).
Die Verbände fördern freiwillige Zweisprachigkeit
Durch freiwilliges Engagement der Verbände ist in der Werbung bezüglich der proportionalen Vertretung von Sprachen in gemischten Regionen bereits Beträchtliches erreicht worden.
Siehe am Beispiel der APG|SGA: Das Unternehmen empfiehlt der werbetreibenden Kundschaft mindestens 30 Prozent des Inhalts ihrer Werbekampagnen für Biel französischsprachig zu liefern, da rund 40 Prozent der Bieler Einwohner zur frankophilen Bevölkerung zählen. Dieses Verhältnis ist im Buchungssystem hinterlegt. Seit der Einführung dieses Parameters wurden grosse Fortschritte erzielt – zwischen der zweisprachigen Kampagnenplanung von 2001 und 2021 liegen Welten. Es engagieren sich heute deutlich mehr Werbetreibende für die Mehrsprachigkeit in der ganzen Schweiz. Die Sensibilisierung und Aufklärungsarbeit durch die lokal in Biel verwurzelte Kundenberatung der APG|SGA bringt nationale und internationale Werbetreibende dazu, stärker auf relevante zweisprachige Werbebotschaften mit standortspezifischer Platzierung zu setzen.
Folgen
Zu beachten ist, dass die in der kantonalen Verfassung verankerten und in der Stadt Biel geltenden Prinzipien zur Zweisprachigkeit primär institutionell ausgelegt sind und sich nicht an private Werbetreibende richten. Die Auffassung der Stadt Biel, dass Reklamen (welche ausschliesslich in beiden Amtssprachen ausgehängt werden dürfen) die Zweisprachigkeit fördern, greift zu kurz und widerspricht der ökonomischen Erfahrung. Grosse Auftraggeber im Werbemarkt wie Luxusmarken, Detailhandel, Telekommunikation, Autoindustrie, Versicherungen etc. werden Biel künftig eher meiden, als separat für die Stadt ein zusätzliches, zweisprachiges Plakat zu gestalten. Der Mehraufwand für die Übersetzungs- und Gestaltungskosten steht auch für KMU in keinem Verhältnis zum Nutzen. Gerade kleinere Betriebe und Dienstleister in Biel und der Agglomeration (Baugewerbe, Gastronomie, Kosmetik, Floristen etc.) werden im Werbebudget einen deutlichen Mehraufwand verkraften müssen, sollte der neue Plakatierungsplan greifen.
Fazit
- Die Rechtsgrundlage garantiert den Werbetreibenden im öffentlichen Raum Meinungs-, Medien-, Informations- und Wirtschaftsfreiheit. Dieser Verpflichtung hat die Stadt Biel nachzukommen und Folge zu leisten. Demnach gilt es, ein für Kreativität und Mehrsprachigkeit offenes Reklamereglement zu realisieren.
- Hervorzuheben ist, dass die APG|SGA als aktuelle Konzessionspartnerin in Biel bereits erfolgreich mit einem Mischanteil für deutsch- und französischsprachige Plakate arbeitet und dies im System auch nachweisen kann.
- Die Parallelsprachigkeit liegt – wie die bisherigen Erfahrungen nahelegen – im mehrfachen Interesse der Gesellschaft, der Behörden, der Wirtschaft, der Kulturkreise und auch der Verbände. In diesem Sinne ist ein ausgewogenes Plakatierungskonzept zur freiwilligen Förderung der Mehrsprachigkeit, wie dies heute bereits umgesetzt wird, seitens der Verbände durchaus erwünscht.
- Innovative und wirtschaftliche Aussenwerbelösungen und die Möglichkeit zur Umsetzung von kreativen Botschaften stellen für die kommerziellen und kulturellen Auftraggeber und für die Stadt Biel unter Respektierung der Grundrechte einen Mehrwert dar.